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Technik ist Macht

Präsident Trump erpresst China: Huawei bekommt keine Software aus Amerika mehr. Das stachelt China erst recht an.

Ein hierzulande gängiges Sprichwort lautet: „Wissen ist Macht“. Es hat – obwohl bereits aus dem 17. Jahrhundert stammend – auch heute noch seine Gültigkeit. Abschlussklassen verkehren das Sprichwort gerne mal ins Gegenteil: „Wissen ist Macht. Wir wissen nichts. Macht nichts.“ In den vergangenen Jahren wurde das Wissen über Technik immer wichtiger. Das Sprichwort lässt sich deshalb mit gutem Recht auch abwandeln: „Technik ist Macht.“
 
Wer keine Technik hat, dem macht das sehr wohl etwas aus. Das zeigte sich in der vergangenen Woche. Denn der amerikanische Präsident Donald Trump zündete im Handelsstreit mit China die nächste Eskalationsstufe. Künftig müssen alle amerikanischen Unternehmen, die mit chinesischen Firmen zusammenarbeiten, eine Lizenz erwerben.
 
Es geht, man ahnt es, wieder einmal gegen die Konkurrenz aus China, dieses Mal namentlich Huawei. Spionage wirft die amerikanische Regierung dem „chinesischen Staatskonzern“ vor. Grund genug, den Telekommunikationsausrüster zusammen mit 70 anderen Firmen auf eine „schwarze Liste“ zu setzen. Die ersten Firmen reagierten bereits auf das Dekret: Google kündigte an, die Zusammenarbeit zu beenden. Huawei wird künftig nur eingeschränkten Zugang zu Googles Betriebssystem Android haben.
Was vordergründig der Spionage-Abwehr dienen soll, ist in Wahrheit etwas anderes. „Es geht in diesem Konflikt nicht wirklich um die nationale Sicherheit“, erklärt der Technikhistoriker David Nye. „Es geht um Märkte und die Sicherung der technologischen Überlegenheit.“ Jahrzehntelang wurde China als Emporkömmling kaum beachtet. Produkte aus China galten als billige Kopien. „Die Krise zeigt, dass China inzwischen vorne ist oder mindestens gleichauf, nicht nur, was die 5G-Technik angeht, sondern auch Solarpanele, Roboter im verarbeitenden Gewerbe oder Künstliche Intelligenz“, erklärt Nye. Das Ziel der Amerikaner sei in Wahrheit, die technologische Entwicklung der Volksrepublik zu bremsen, um die eigene Marktstellung zu sichern.
 
Für Huawei ist Googles Ankündigung ein Schlag ins Gesicht: Huawei-Handys laufen mit Android. Bislang gibt es dafür noch keine hauseigene Alternative. Diese soll frühestens im Herbst auf den Markt kommen. Später als alle anderen Anbieter werden Updates von Android auf Huawei-Handys verfügbar sein. Das bedeutet auch, dass etwaige Sicherheitslücken erst später gestopft werden.
 
Präsident Trump setzt gezielt die Technologie heimischer Unternehmen als Druckmittel gegen China ein. Und in der Tat ist der Druck riesig. Ohne Zugang zu Googles Playstore mit Millionen von Apps im Angebot wird ein Huawei-Handy für die Verbraucher hierzulande gleich sehr viel unattraktiver. Da hilft auch der niedrigere Preis im Vergleich zu Apple oder Samsung nichts.
 
Dabei hatten die Chinesen in den vergangenen Monaten alles dafür getan, die Skepsis der Europäer gegenüber ihren Geräten abzubauen. Jahrelang galten Smartphones und andere Hightech-Geräte aus China als schlechte Billigkopien. Das hat sich geändert. Erst im vergangenen Jahr überrundeten die Chinesen den amerikanischen Branchenprimus Apple und sind nun nach Samsung der wichtigste Handyhersteller der Welt.
 
Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass eine Technologie als Waffe eingesetzt wird. Die Rede ist nicht von Drohnen oder Panzern, sondern von Computerprogrammen. 2010 wurde ein Computerwurm enttarnt, der das Ziel hatte, die Steuerungssysteme von Industrieanlagen zu sabotieren. Infiziert hatte Stuxnet, wie der Virus genannt wurde, unter anderem die iranischen Atomanlagen. Er manipulierte die Steuerung einer Urananreicherungsanlage und sorgte dafür, dass diese 15 Prozent ihrer Effizienz einbüßte. Bis heute konnte zwar nicht abschließend geklärt werden, woher die schädliche Datei kam. Vermutet wurde aber, dass die amerikanische Regierung in die Entwicklung des Wurms Millionen investiert hatte, um Druck auf die iranische Regierung auszuüben und die Entwicklung eigener Atomwaffen zu verhindern. Mit mäßigem Erfolg: Der Konflikt um das iranische Atomprogramm schwelt noch immer. Gerade erst hat Iran seine Uranproduktion hochgefahren. Donald Trump verkündete am Freitag die Entsendung weiterer Soldaten in den Nahen Osten.
 
Ein etwas anders gelagertes Beispiel findet sich in der Geschichte des Kosovo-Krieges. Während der Luftangriffe der Nato auf Serbien schalteten die Amerikaner das frei empfangbare GPS-Signal ab, das bis dato einzige Satellitensystem, das derart genau eine Position bestimmte. Sie selbst hatten noch ein sicheres, militärisches Signal, der Gegner aber verlor seine Orientierung. Doch nicht nur das: Auch Schiffskapitäne und Piloten hatten plötzlich Schwierigkeiten, zu orten. Das Signal wich bis zu 100 Meter von der eigentlichen Position ab.
 
Nach dem Balkan-Krieg entschlossen sich die Mitglieder der Europäischen Union, ihr eigenes Satellitennavigationssystem Galileo zu entwickeln, um im Zweifel nicht von der Technologie der Amerikaner abhängig zu sein. Denn abgesehen von der Kriegsführung, erfüllt das Satellitensystem auch zivile Zwecke: im Transportwesen, in der Verkehrssteuerung und sogar im Hochfrequenzhandel, der Satelliten-Zeitsignale verwendet.
 
Eines wird an diesen Beispielen deutlich. Ob mit ihrem Entzug gedroht wird oder sie gezielt zum Angriff eingesetzt wird: Technologie ist Macht – die nun auch im Handelskonflikt eingesetzt wird.
 
Bislang trugen Amerika und China ihren Streit durch Handelszölle aus. Trump erhob vergangenen Sommer erstmals neue Zölle auf Importwaren aus China, Solarmodule und Stahl etwa. Der offizielle Grund: Die heimische Industrie müsse geschützt und die Abhängigkeit von ausländischen Produzenten reduziert werden. Der chinesische Präsident Xi Jinping reagierte seinerseits mit Zöllen auf amerikanische Importe wie Autos und Agrarprodukte. Inzwischen erhebt Amerika Zölle im Handelswert von 250 Milliarden Dollar auf chinesische Produkte, China wiederum revanchiert sich mit Zöllen in einem Gegenwert von 110 Milliarden Dollar.
 
Das Weiße Haus hat die neueste Eskalationsstufe im Handelsstreit strategisch gewählt. Während China auf neue Importzölle mit demselben Mittel reagieren kann, fehlen dem Land nun die Mittel zum Gegenschlag. Denn die Chinesen haben diesbezüglich nicht genug zu bieten. „Technologisch ist China noch nicht in der Lage, die Vereinigten Staaten – und Europa – effektiv unter Druck zu setzen“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Zwar sei China etwa in der Überwachungstechnologie Marktführer, doch die Nachfrage in Europa und den Vereinigten Staaten nicht groß genug.
 
Technologisch mag China zwar unterlegen sein. Xi hat allerdings andere Druckmittel: Die Volksrepublik ist im Besitz der meisten Staatsanleihen der Vereinigten Staaten. Bislang konnte die Regierung von Trump froh sein, dass China so viele Staatsanleihen kaufte und so den amerikanischen Lebensstil auf Pump finanzierte. Doch im Handelskrieg könnten die Staatsanleihen den Vereinigten Staaten zum Verhängnis werden. Seit dem vergangenen September hat die Regierung in Peking Monat für Monat Staatsanleihen verkauft. Zwar sind die Chinesen noch immer der größte Gläubiger der Vereinigten Staaten, doch wenn Peking weiter im großen Stil Anleihen abstößt, würde eine Neuverschuldung für die Amerikaner immer teurer. Konsequenzen für die Währung sind dann durchaus denkbar: Die Stabilität des Dollars liegt zu einem Teil in Chinas Hand.
 
Auch über den Rohstoffmarkt kann Peking Druck ausüben und so indirekt den Hightech-Unternehmen in Übersee schaden. In den vergangenen Jahren hat sich China Stück für Stück den Zugang zu Lithium gesichert und ist der weltweit größte Produzent des Leichtmetalls, das für die Herstellung von Akkus unverzichtbar ist. In jedem Handy, das heute über die Ladentheke geht – ganz gleich von welchem Hersteller – befindet sich ein Lithium-Ionen-Akku. Jedes Elektroauto, das derzeit auf dem Markt ist, wird mit einem solchen Lithium-Ionen-Akku betrieben. Zwei Drittel aller Lithium-Ionen-Batterien kommen aus China. Zwar wird an Alternativen geforscht, denn Lithium ist sehr teuer geworden. Bislang ist aber kein Ersatz in Sicht.
 
Auch andere seltene Metalle und Erden (wie Kobalt, das ebenfalls für den Akku benötigt wird, Tantal für die Speicherung elektrischer Ladung und Indium für den Touchscreen) befinden sich zu weiten Teilen in chinesischer Hand. 37 Prozent der weltweiten Vorkommen dieser Stoffe kontrolliert China. 97 Prozent aller ausgelieferten seltenen Erden kommen aus chinesischer Hand. Es kann daher durchaus als Drohung an die Regierung in Washington verstanden werden, dass Präsident Xi höchstpersönlich nur wenige Tage nach Trumps letzter Drohung zum Marktführer JL Mag Rare-Earth reiste, den Unterhändler für Washington im Schlepptau. Die Nachricht ist klar: Passt auf oder wir kappen euren Zugang zu wichtigen Ressourcen.
 
Würde China einen Exportstopp über Lithium verhängen, würde das die ausländischen Handy-Hersteller zumindest kurzfristig schwer treffen. Denn Amerika verfügt zwar auch über den Rohstoff, hat aber bislang noch keine eigene Förderung auf heimischem Boden. Allerdings gibt es auch in Australien und Chile Lithium-Minen. Langfristig könnten die Amerikaner also auf andere Zulieferer ausweichen. Allerdings wäre ein Schaden für die chinesische Wirtschaft ebenfalls nicht ausgeschlossen: China liefert zwar viele Rohstoffe, ist aber etwa bei der Chipherstellung vom Ausland abhängig.
 
Technologie oder ihr Entzug ergeben ein mächtiges Druckmittel. Amerika ist auf diesem Feld schlagkräftiger, doch China holt schnell auf. Das Innovationspotential der Volksrepublik ist langfristig kaum zu überschätzen. „Kurzfristig bereitet Trump den chinesischen Unternehmen Kopfschmerzen“, glaubt der Historiker Nye, „aber langfristig tut er ihnen vielleicht sogar einen Gefallen.“
 
Eines ist klar: Der Handelskonflikt fordert auf beiden Seiten Opfer. Einer Studie des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge verringern die derzeitigen Zölle das Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten um umgerechnet 9,5 Milliarden Euro, das der Volksrepublik um 30,4 Milliarden Euro. Der größere Verlierer ist also China. Obwohl sich der Konflikt in der vergangenen Woche ein weiteres Mal zugespitzt hat, glaubt der Ökonom Felbermayr weiterhin an ein versöhnliches Ende: „Die Kosten sind für beide Seiten so riesig, dass der Druck, eine Lösung zu erreichen, sehr groß ist.“
 
Viele Unternehmer verdienten bislang gutes Geld mit dem Verkauf billiger chinesischer Importware. Auch die Wall Street würde sich eine Einigung wünschen: Jeder Halbsatz des amerikanischen Präsidenten zum Handel mit China sorgt an der Börse regelmäßig für Kapriolen. Und auch in Peking weiß man um die negativen Folgen jeder Eskalation. Mit Blick auf die Zukunft schränkt Felbermayr seinen Optimismus trotzdem ein: „Selbst wenn man einen Waffenstillstand vereinbart, bleibt die geostrategische Rivalität der beiden Mächte bestehen. Und diese wird immer wieder auch handelspolitische Konfliktsituationen herbeiführen.“
 
Zuerst erschienen ist dieser Artikel am 26. Mai 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
 
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Anna Steiner • 16. August 2019


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