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Die Verknüpfung von menschlicher mit künstlicher Intelligenz haben sich sogenannte Brain Computer Interfaces zur Aufgabe gemacht.

Brain Computer Interfaces – Die Gedanken sind frei

Das Superhirn verbindet menschliche mit Künstlicher Intelligenz. Die Forscher sind mit Brain Computer Interfaces schon weit gekommen. Geben wir damit die Kontrolle über unsere Gedanken ab?

Noch wirkt es mühsam, was die Probanden an der Universität Tübingen oder im Wyss Zentrum in der Schweiz versuchen. Unter einer Haube voller bunter Elektroden sitzen sie in ihrem Stuhl und steuern einen Roboterarm – nur durch ihre Gedanken. Dafür müssen sie ihre Gedanken auf diesen einen Vorgang konzentrieren, und sei er auch noch so simpel. Ablenkung darf es nicht geben. Die Probanden können sich nicht mehr selbst bewegen. Sie sind querschnittsgelähmt, haben Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder leiden am Locked-in-Syndrom.

Viele von ihnen können nicht einmal sprechen. Auch hier schafft die Forschung Abhilfe: Mit Hilfe ihrer Gedanken steuern sie den Cursor auf einem Bildschirm über eine Buchstabentafel und können so kurze Antworten geben – ähnlich dem jüngst verstorbenen Astrophysiker Stephen Hawking, der an ALS litt. Der Roboterarm, den etwa die Wissenschaftler in der Schweiz entwickelt haben, erlaubt den Patienten, aus dem Gefängnis, das ihr Körper geworden ist, auszubrechen. Aber geben sie damit nicht die Kontrolle über ihre Gedanken ab?

„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten“, so heißt es in einem Studentenlied. So still und verhuscht wie in diesem Lied erscheint das Gehirn längst nicht mehr, wenn man sieht, was die Wissenschaft schon heute kann.

Kann Künstliche Intelligenz Gefühle erkennen?

Möglich machen das sogenannte Brain Computer Interfaces, Gehirn-Computer-Schnittstellen. Die Verknüpfung von menschlicher mit Künstlicher Intelligenz ist nach Ansicht vieler Experten ein Quantensprung in der Medizin. Mit Hilfe von Elektroden, die entweder in das Gehirn implantiert oder von außen an den Kopf angelegt werden, messen die Forscher die Gehirnaktivität. Das erfolgt entweder wie beim EEG durch die Messung der Spannungsveränderungen auf der Kopfhaut oder durch die Neuronenaktivität in verschiedenen Gehirnregionen. Über ein Kabel werden die gemessenen Gehirnsignale an einen Computer weitergeleitet, der sie in konkrete Befehle umwandelt.

Die Versuchspersonen am Wyss Zentrum etwa denken daran, wie sie den Daumen des Roboterarms bewegen. Die Elektroden erkennen die Absicht des Probanden, indem sie die Aktivität im motorischen Zentrum des Gehirns wahrnehmen, und übertragen das Signal an den Computer, der wiederum dafür sorgt, dass sich der Daumen des Roboterarms tatsächlich bewegt. Der Autohersteller Jaguar ist ebenfalls auf den Geschmack der mitdenkenden Roboter gekommen. Mit dem Projekt „Sixth Sense“ will der britische Autobauer in Zukunft noch besser auf seine Fahrer eingehen. In der Zukunft des autonomen Verkehrs sollen die Autos die Gedanken ihrer Fahrer lesen.

Ein Pilotprojekt steckt zwar noch in den Kinderschuhen, selbst beim autonomen Fragen geht es nur schwer voran. Zu sehr fallen gerade hierzulande die ethischen Überlegungen ins Gewicht. Doch die Vision der Briten hat es in sich: Statt konkreter Befehle soll die Technologie „Sixth Sense“ die Gefühle des Fahrers erkennen und das Auto entsprechend darauf reagieren. Wird der Fahrer etwa müde, rüttelt es ihn wach, fühlt er sich gestresst, dimmt das Auto das Licht und spielt Entspannungsmusik ab. Von der Serienproduktion ist das noch weit entfernt, undenkbar ist es jedoch nicht, dass künstlich intelligente Autos eines Tages sensibel auf den Fahrer reagieren.

Wie gefährlich sind Brain Computer Interfaces?

Noch weiter gehen die Wissenschaftler um Miguel Nicolelis an der Duke-Universität im amerikanischen North Carolina. Statt sich mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle zu begnügen, arbeiten sie bereits an einer Gehirn-zu-Gehirn-Schnittstelle. Dabei gelang ihnen Außergewöhnliches. In einem Labor im brasilianischen Natal implantierten sie Laborratten zwei Elektroden ins Gehirn und trainierten sie, einen kleinen Hebel in ihrem Käfig zu betätigen, um einen Schluck Wasser zu erhalten. Dann lasen sie mit einem Computer die Gehirnsignale aus, wandelten sie in einen Code um und schickten diesen über das Internet transkontinental nach Durham. Den Ratten an der Duke-Universität wurde über ähnliche Elektroden-Implantate der Code ihrer brasilianischen Artgenossen „aufgespielt“. Selbst für die Forscher war das Ergebnis überraschend: In drei viertel der Fälle betätigten die amerikanischen Ratten ebenso den kleinen Hebel in ihrem Käfig, um Wasser zu erhalten, wie ihre brasilianischen Kollegen. Und das ohne vorangegangene Konditionierung.

Was zunächst für den Normalsterblichen nach gruseliger Science-Fiction klingt, birgt ein riesiges Potential. Noch sind die Handlungen einfach, die Decodierung zwar komplex, aber im Vergleich zu anderen Vorgängen im Gehirn klar begrenzt. Doch gelänge es, wesentlich komplexere Vorgänge von einem Gehirn ins andere zu transferieren, wird es richtig spannend. Der Wissenschaftler Nicolelis ist sich sicher, dass es eines Tages gelingen wird, Tiere zu einem organischen Computer zu vernetzen. Auch ein naiver Gedanke sei gewagt: In der Zukunft könnten so womöglich ganze Sprachen übertragen werden. Dem Amerikaner, der Englisch spricht, könnte Mandarin implantiert werden. Das mühsame Vokabel- und Grammatikpauken würde damit überflüssig. Auch das ist jedoch Zukunftsmusik, zum Leidwesen vieler Schüler.

Unheimlich wird es an anderer Stelle. Bislang legen die Forscher sich nicht fest, was sie alles von einem Gehirn ins andere übertragen können. Sie schweigen darüber, was in Zukunft möglich sein wird. Zu vage ist der derzeitige Forschungsstand. Sind auch Gefühle übertragbar? Einstellungen, Werte, ganze Ideologien? Hier wird es gefährlich.

Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei

Die Verkabelung des Gehirns mit dem Computer erscheint ohnehin nicht allen erstrebenswert. Gerne wird die Angst geschürt, Künstliche Intelligenzen könnten eines Tages klüger werden als wir Menschen. Der kalifornische Serienunternehmer Elon Musk, Tesla-Chef und Space-X-Gründer, spielt selbst gerne mit dieser Angst. Vor zwei Jahren erwarb er den Thinktank Neuralink, um an der Schnittstelle zwischen Mensch und Computer zu forschen. Seine Angst: Der Mensch könnte eines Tages zum Haustier Künstlicher Intelligenzen degradieren und die Krone der Schöpfung weiterreichen müssen. Dabei verbaut Musk in seinen größtenteils autonom – wenn auch nicht unfallfrei – fahrenden Teslas schon seit Jahren lernende Programme und Algorithmen für ein besseres Fahrerlebnis oder mehr Sicherheit, also Künstliche Intelligenzen.

Henrik Walter ist Hirnforscher an der Charité in Berlin. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Künstlicher Intelligenz. Vor wenigen Jahren ließ er sich noch mit dem Satz zitieren: „Wir müssen bei Künstlicher Intelligenz keine Angst haben, weil das Gehirn kompliziert ist.“ Heute wäre er vorsichtiger, wie er zugibt – „wegen des Fortschritts“. Ernsthafte Sorgen macht er sich aber nicht. Schließlich messen die Elektroden nur einen kleinen Teil der chemischen und magnetischen Reaktionen im Gehirn. „Eine Künstliche Intelligenz braucht standardisierte Muster, um daraus verlässliche Schlüsse ziehen zu können“, erklärt Walter. „Aber die gibt es im Gehirn kaum.“

Ein bestimmtes Muster auf dem EEG sage noch nichts darüber aus, was die Person denke. Dafür sind die Gedanken zu vielfältig. Zudem würde derselbe Gedanke bei verschiedenen Personen nicht zwangsläufig dieselben Gefühle auslösen und nicht dieselben Gehirnreaktionen provozieren. Dass die Technologie eines Tages von Diktatoren genutzt wird, um ihre Untertanen einer Gehirnwäsche zu unterziehen, hält Walter für unwahrscheinlich.

Dem Philosophen und Neurologen macht vielmehr Sorge, dass bei fortschreitender Entwicklung mehr Menschen die Faszination solcher Gehirn-Computer-Schnittstellen erkennen und eine solche für den Privatgebrauch wollen. „Es wird einen Markt dafür geben, wie bei den Smartphones, und eines Tages sind die im Nachteil, die es nicht nutzen wollen“, fürchtet Walter. Das könnte dann womöglich so weit gehen, dass die Verweigerer bei der Krankenversicherung oder für ihr Auto mehr bezahlen müssen, weil sie nicht ständig über ihr Gehirn Daten übermitteln.

Henrik Walter glaubt aber nicht, dass unsere Gedanken eines Tages nicht mehr frei sein werden. „Man kann die Gedanken beobachten, aber sie können trotzdem frei bleiben.“ Dass Gedanken eines Tages im Detail steuerbar sind, kann sich der Forscher nicht vorstellen. Die weiteren Zeilen im Studentenlied behalten damit vorerst recht: „Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.“

Zuerst erschienen ist dieser Artikel am 4. Juni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Online auf FAZ.NET.

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Anna Steiner • 18. Juli 2018


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